Fusion von Glauben und Groove
"When I saw the bright sunshine, I didn’t have no doubt", schallt es am 25. Juni 2006 stimmgewaltig durch die Christuskirche in Wolfsburg. Gut 100 Sängerinnen und Sänger drängen sich in dem kleinen Altarraum, singen, feiern Gott und zeigen, was sie unter der Leitung von Hanjo Gäbler sowie David Thomas alles gelernt haben.
Eine Reportage von Jessica Zehme
"When I saw the bright sunshine, I didn’t have no doubt", schallt es am 25. Juni 2006 stimmgewaltig durch die Christuskirche in Wolfsburg. Gut 100 Sängerinnen und Sänger drängen sich in dem kleinen Altarraum, singen, feiern Gott und zeigen, was sie unter der Leitung von Hanjo Gäbler sowie David Thomas alles gelernt haben.
Mit ihrem Gesang vermischt sich das begeisterte Klatschen von rund 300 Zuhörern, die zwischen den Kirchenbänken stehen und mitfeiern.
"Wenn die Leute Gospel hören, kommen sie in die Kirche. Er bringt einfach alle zusammen", erklärt Hanjo Gäbler. "Und ich merke, dass es auch einen Adressaten gibt. Die Lieder gehen nicht nur bis zur Kirchendecke, sondern weiter. Und – es kommt auch was zurück." Mit diesen Worten beschreibt der 28jährige Hamburger Musiker das Geheimnis dieses Wochenendes. Es ist Samstagnachmittag und alle Workshopteilnehmer hören ihm gespannt zu. Zum Teil sind sie mehr als 500 Kilometer weit gefahren, um andere Gospelbegeisterte im Danndorfer Haus der Kirche zu treffen, und gemeinsam mit Hanjo Gäbler und David Thomas Gospelmusik zu machen – diese stark mitreißende religiöse Musik, die sich aus den Spirituals der schwarzen Sklaven in Amerika entwickelt hat.
Seit Freitag, 18 Uhr, proben sie nun schon Contemporary Gospel. Das ist zeitgenössischer, moderner Gospel. Neun Lieder des Programms haben Gäbler und Thomas selbst komponiert.
"So ein Workshop ist immer eine gute Möglichkeit für einen Chor, neue Lieder kennen zu lernen", erzählt Arjan Leuschner (28), Organisator des Workshops und seit sechs Jahren Chorleiter des Danndorfer Gospeltrains. Den ersten Workshop, 2002, hat er noch selbst geleitet. "Aber es ist natürlich eine viel größere Motivation, wenn so bekannte Musiker wie Hanjo Gäbler oder David Thomas ihr Wissen vermitteln."
Dabei vermitteln sie nicht nur musikalische Kenntnisse. Der Glaube an Gott und Jesus steht an diesem Wochenende ebenso im Mittelpunkt.
"Jeder Tag hat seine eigenen Probleme", beschreibt es Gäbler. "Das müssen die Leute begreifen. Gott sagt: Heute gehe ich mit dir und morgen ist ein anderer Tag. Aber auch da wird er wieder bei dir sein." Ganz still ist es in dem Gemeindehaus geworden. Nur Thomas spielt zur stimmungsvollen Untermalung leise auf seinem Keyboard. "Das ist es, was wir beim Konzert vermitteln wollen."
Über 100 Paar Ohren lauschen andächtig Gäblers Worten. Der wiederum beginnt nun mit einem so genannten "Root", einem nicht enden wollenden Wechselgesang. "In Amerika kann so was schon mal eine halbe Stunde dauern", sagt er und singt: "Have you tried my Jesus? – He’s alright!" Immer wieder dieselbe Zeile. Nach dem dritten "Have you tried my Jesus?" schallt es ihm stimmgewaltig entgegen. "He’s alright!" Alle stehen auf. Sie singen und klatschen und tanzen. Es scheint eine einzige Party zu sein, auf der Gott gefeiert wird.
"Gospel vereint Glaube und Groove. Es ist eine Fusion von allen musikalischen Gebieten, die mir lieb sind", beschreibt es Leuschner. "Und man kann vor allem sein, wer man ist." Er sieht sich um. "Außerdem vereint es Generationen." Er strahlt, zeigt seine Grübchen und wirkt rundum zufrieden. Tatsächlich – von Jugendlichen bis über 60jährigen ist alles vertreten.
Wilhelm Lieven, der auf sein Namensschild "Willi" geschrieben hat, mit Smileys als i-Punkte, ist begeistert. "Das ist so toll. Hier fühlt man sich gleich aufgehoben", freut sich der 55jährige Bass.
Auch Ank Leuschner-Canters, Mutter von Arjan und Mädchen für alles, würde gerne mitsingen, muss aber Küchenpapier mit "Leergut" oder "Wenig Kohlensäure" beschriften. Sie ist für das Catering zuständig. Insgesamt sieben Personen sind während des gesamten Wochenendes damit beschäftigt, für das leibliche Wohl der Teilnehmer zu sorgen.
Die Sängerinnen und Sänger jedenfalls scheinen ihren Spaß zu haben, egal ob es nun gerade melancholische oder fröhliche Lieder sind. Immer wieder gibt es Applaus, wenn irgendetwas besonders gut geklappt hat. Entweder für Einzelne oder für die gesamte Gruppe.
Sehr ausgelassen ist die Stimmung auch bei "Heaven", einem Lied, das erst vor zwei Monaten Gäblers Feder entsprungen ist. "Ich bin froh, dass es ein fetziges Lied geworden ist", bekennt er. "Es gibt schon so viele Lieder über den Himmel, die sind so…" Er verzieht das Gesicht. "Ich glaube, wir haben sowieso ein falsches Bild vom Himmel. Man denkt dann immer an übergewichtige Babys mit Flügeln…" Alle starren über seinen Kopf. Der Beweis für Gäblers Theorie hängt, von ihm ganz unbemerkt, direkt über ihm – in Form zweier geschnitzter Figuren, die merkwürdigerweise aussehen, wie zwei übergewichtige Babys mit Flügeln.
Gäbler hat sein eigenes Bild vom Himmel und von Gott. Zu seinem Glauben gehört auch, viel zu beten. Jeden Morgen und jeden Abend wird während des Workshops gemeinsam gebetet. Dabei wechselt er sich mit Thomas ab. Der 40jährige Engländer redet nicht ganz so viel wie Gäbler. Dennoch ist ihm die christliche Botschaft genauso wichtig. Das wird besonders deutlich, wenn er anfängt zu singen. Dann scheint in seiner Stimme all das zu liegen, was Gäbler zuvor beschrieben hat. Leidenschaft. Und Glaube. Und die professionelle Gesangsausbildung bleibt auch nicht unbemerkt.
Auch nicht von den 300 Zuhörern am Sonntagabend in der Christuskirche. Gerade hat Thomas ein beeindruckendes "Amazing Grace" beendet. Die Menschen springen von ihren Bänken auf, klatschen, johlen, geben standing ovations. Und lassen sich schließlich von Thomas dazu hinreißen, bei dem Lied "Amen" mitzusingen.
Das Konzert neigt sich dem Ende und somit auch der Workshop. Eine Zugabe können die Zuschauer noch einfordern, danach ist das Konzert beendet. Schließlich tritt einer der Sänger an das Mikrofon. Er will "Danke" sagen, im Namen aller Teilnehmer. Bei Leuschner, weil er das alles organisiert hat. Und bei Gäbler und Thomas, die alles so toll geleitet hätten und "gute Botschafter" für die christliche Nachricht seien. Ein letzter Applaus vom Publikum. Dann verbeugt sich der Chor. Und klatscht. Wie schon beim Workshop. Für sich. Für seine Chorleiter. Und für das Publikum.
Rund 100 Workshopteilnehmer zeigen zusammen mit ihren Workshopleitern vollen Einsatz
Ein starkes Trio: Arjan Leuschner, Jörg und Eike Formella (von links nach rechts) öffnen ihre Stimmen und geben sich ganz der Gospelmusik hin
David Thomas, Arjan Leuschner und Hanjo Gäbler (von links nach rechts)
Während "The Privilege" geprobt wurde schoss die deutsche Fußballnationalmannschaft gleich 2 Tore gegen Schweden und ließ die gleichzeitigen Gospel- und Fußballfans lautstark "Hosanna Hallelujah" singen.
Veröffentlichung dieser Reportage mit freundlicher Genehmigung von Jessica Zehme, die diesen Gospelworkshop begleitet hat.